Lara Polster, ehemalige Projektleiterin beim Zukunftszentrum Süd vom Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw), führte ein Gespräch mit Luise Ortloff. Sie ist Leiterin des Themenschwerpunkts Volkswirtschaft, Bildung und Arbeit bei acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.
Was ist eigentlich Führungskultur? Die Kultur des Führens?
Der Begriff Führung ist oftmals noch sehr stark mit der Systematik von Hierarchien verbunden. Wahrscheinlich war das in einer gewissen Zeit auch berechtigt, um Produktivität sowie Schnelligkeit zu steigern. Aber heute – vor allem im Zuge der Digitalisierung – steigt der Wunsch der Mitarbeitenden, aktiv an der Unternehmensgestaltung und am Erzielen von Produktivität mitzuwirken. Deshalb ist laut Luise Ortloff Vertrauen in den Leistungswillen, die Selbstbestimmtheit und Selbstführungsfähigkeit der Mitarbeitenden wichtig.
Veränderung in der Führung und in Bezug auf deren Ansprüche hat es schon immer gegeben. Was ist neu?
Neu sind die vielen, sich überlappenden Ereignisse wie Digitalisierung, demografischer Wandel, Dekarbonisierung, ökologische und ökonomische Krisen, der Ukrainekrieg, Corona… All diese Themen fordern die Führung – und zwar in anderer Form: Krisenmanagement, „Orientierung geben“. D.h. die Rolle von Führung muss neu gedacht werden, denn es geht nicht mehr darum für andere zu entscheiden, sondern Freiraum zur Selbstführung zu geben.
„Wichtig an dieser Stelle ist die Abgrenzung zum Coaching. Führung, auch das gewünschte empowering leadership, ist nicht coachen! Denn wir dürfen nicht vergessen, dass Führungskräfte trotz aller demokratischer Führungsstile, UnternehmensvertreterInnen sind: Das muss man im Blick behalten. Natürlich geht es darum den Einzelnen zu supporten, zu empowern, aber die Führungskraft selbst ist eine Vertretung des Unternehmens und hat somit entsprechende Rahmenbedingungen.“
Kompetenzen von Führungskräften
Eine wichtige Kompetenz von Führung ist u.a. Empathie, betont sie. Denn natürlich wollen wir Unterstützung, Raum für Feedback und eigene Lösungen geben. Das heißt aber nicht, ein Coach zu sein. Denn Coaching bedeutet die gezielte, persönliche Entwicklung des Einzelnen zu unterstützen und das wird, so glaubt sie, oft verwechselt mit dem transformationalen Führungsstil, also dem Anspruch Raum zur Selbstentwicklung und Selbstentfaltung zu geben. Natürlich muss ich Orientierung geben, aber ich muss immer klar machen, dass es auch um Unternehmensziele geht.
Als authentische Führungskraft zeige ich auch mal Emotionen oder teile mit, wenn mich wirklich etwas besorgt. Das wird von meinen Mitarbeitenden besser angenommen und trägt zum Teamerfolg sowie zum Engagement der bzw. des einzelnen Beschäftigten bei. Aber auch das heißt natürlich nicht, dass ich einerseits als Führungskraft alle meine Probleme und Sorgen offenlegen muss. Und es heißt auch nicht, dass ich verpflichtet bin ein freundschaftliches Verhältnis zu pflegen. Es geht darum sich nahbar und empathisch zu zeigen, aber eben auch Unterstützung zu bieten, wenn man merkt der/die Beschäftigte hat bspw. Probleme oder Sorgen.
Die Ansprüche an Führungskräfte von heute sind hoch. Hinzu kommt das erforderliche Digitalisierungs- und Technologiewissen.
„Vielen Firmen sind auch auf den Hype der Digitalisierung aufgesprungen, haben sich super coole technologische Supports geholt, haben sich die neusten technologischen Entwicklungen ins Haus geholt und wundern sich, warum Transformationsprozesse nicht funktionieren. Da muss man ganz klar sagen, dass die großen Transformationsprozesse oftmals nicht daran scheitern, dass man entsprechende Technologie hat. Denn es ist ein Dreiklang: Technologie + Unternehmenskultur + Führungskultur. Und das muss stimmen. Studien zeigen: der Grund jeder zweiten Kündigung ist die Führung. Daran sieht man, was für eine Schlüsselrolle heutzutage die Führungskraft hat. Nicht umsonst gibt es den Spruch (auch wenn er etwas in die Jahre gekommen scheint), dass MitarbeiterInnen keine Unternehmen verlassen, sondern ihre Chefs.“
Eine Führungsposition übernehmen
Oft wird die Frage gestellt, ob denn jede bzw. jeder, der Führungskraft werden möchte, auch als Führungskraft geeignet ist. Wie kann ich rausfinden, ob Führung mein Ding ist? Welche Kompetenzen brauche ich?
Dabei geht es auch um die Frage, welche Führungskräfte gibt es im Unternehmen, die Vorbilder sind? Kann ich mich mit ihnen identifizieren? Was für ein Führungsstil wird gelebt? Wenn ich mich bspw. mit den Führungskräften im Unternehmen nicht identifizieren kann, dann möchte ich da natürlich auch nicht hin.
Gleichzeitig entstehen seit einiger Zeit Initiativen um Female-Leadership oder Young-Leadership sowie ganze Female-Leadership-Akademien. Natürlich auch, weil Führung anders gedacht werden muss.
„Aber auch der Blick auf die Zahlen zeigt: 50% der Rentabilität im Unternehmen kann gesteigert werden, wenn die Führungskraft gut ist, 22% der Produktivität und 30% des Mitarbeiterengagements. Hier gibt es also einen klaren Zusammenhang. Wenn Mitarbeitende innerlich kündigen, oder auch das sog. Quietquitting (also nicht nur „ich habe innerlich gekündigt“, sondern ein „Arbeiten nach Vorschrift“), dann hat das also nicht nur direkt etwas mit Führung zu tun, sondern hat ganz konkrete finanzielle Auswirkungen für das Unternehmen.“
Als Führungskraft hat man demnach die Verantwortung, den Menschen zu sehen und nicht „nur“ am Unternehmenserfolg, sondern am Erfolg der individuellen Mitarbeitenden an sich – als eigenen Wert – zu arbeiten. Das hat, wenn man es philosophisch betrachten möchte, auch was mit Würde zu tun, wenn der Mensch sich nicht mehr verwirklichen kann, keine Selbstwirksamkeit mehr erfährt in seiner täglichen Arbeit.
„Ich glaube tatsächlich, dass eine gute Führungskraft nur sein kann, wer mit sich selbst in guter Balance ist, und das hat direkt zu tun mit achtsamer Selbstführung als Erfolgsfaktor in der digitalen Transformation. Und hierin habe ich auch Vorbildfunktion! Und genauso wichtig ist Vertrauen: Vertrauen in mich, aber vor allem auch Vertrauen darin, dass andere kluge Köpfe auch bessere Ideen haben können als ich selbst und ich da auch drüberstehen können muss. Das heißt dann auch, dass ich nicht über anderen stehe. Das erfordert ein gewisses Mindset und Kompetenzsetting. Ich glaube, dazu muss man ein Stück weit befähigt sein, zumindest die Veranlagung haben. Es ist doch auch nicht schlimm, wenn eine Person bspw. nach einer gewissen Zeit in einer Führungstätigkeit feststellt, dass diese Aufgabe spannend ist, aber nicht so richtig passt.Oder sich selbst eingesteht, dass man eine klasse FachexpertIn ist, aber eben keine Führungskraft. Das ist auch ein Herausforderung in Unternehmen mit organischem Wachstum: Dass man dann irgendwann automatisch in eine Führungsrolle kommt.
Das würde die These unterstreichen, dass man in Lebensphasen gedacht Phasen hat, da ist man gerne eine Führungskraft. Dann ist man eine Zeit lang gerne eine Fachkraft und vielleicht möchte man dann auch wieder Führungskraft sein, je nachdem, wie die eigene Entwicklung, die eigene Selbstreflektion ist. Strukturell ist das aber nicht einfach darstellbar, denn Aufstieg geht oftmals mit Führungsverantwortung einher. Würde man die wieder abgeben wollen, fällt man vielleicht auch in der Hierarchie zurück und natürlich hat das möglicherweise auch etwas mit Imageverlust zu tun.
Aus meiner Sicht ist organisches Wachsen schon auch wichtig, weil ich dadurch bspw. die Unternehmenskultur internalisiere und auch verstehe, was bspw. die strategischen Ansprüche sind. Dennoch ist es in einigen Unternehmen tatsächlich leider so, dass der Aufstieg und die damit verbundene Sichtbarkeit, das Prestige möglicherweise wieder wegfällt, wenn man sich wieder für eine Fachkarriere entscheidet. Es ist ein ‚entweder oder‘! Ich glaube, in vielen Köpfen heißt es noch: up or out!“
Bei der Frage danach, welche Kompetenzen als Führungskraft benötigt werden, hilft die Frage:
Was muss ich können?
- Beschäftigte motivieren
- Erklären können, warum verschiede Veränderungen notwendig sind
- Mitarbeitende mitnehmen, ihnen Spirit geben
- Auch: sich bei unliebsamen Entscheidungen durchsetzen, um Hindernisse zu überwinden
- eine Kultur der Verantwortlichkeit schaffen: d.h. Verantwortung übernehmen für sich selbst als Führungskraft, aber auch für die Beschäftigten und sie zu empowern, sodass diese selbst Verantwortung übernehmen (wollen) und auch bereit sind Entscheidungen zu treffen
- vertrauensvolle Beziehung aufbauen
- fundierte und unvoreingenommene Entscheidungen treffen
- Und ansonsten: Kooperation anstatt Konkurrenz; Demut, Empathie, Adaptivität anstatt Ego – und sicherlich haben auch weitere Kompetenzen ihre Berechtigung.
Vertrauen
„Vertrauen können“ und „Vertrauen haben können“ sind wichtige Voraussetzungen für Führung. Daraus ergibt sich die Frage, wie es mit der eigenen Fähigkeit zu vertrauen bestellt ist.
„Absolut: Führung durch Vertrauen anstatt durch Kontrolle. Offensichtlich wurde das durch die zwangsverordnete Homeoffice-Pflicht aufgrund der Coronapandemie. Auf einmal zählte nicht mehr: Leistung = Präsenz und Präsenz = Produktivität und Arbeitsintensität.“
Dabei ist Führung durch Vertrauen nicht trivial: 2 von 5 Vorgesetzten also 38% finden es schwierig, ihren Beschäftigten dahingehend zu vertrauen, dass sie zu Hause tatsächlich ihrer Arbeit nachgehen. Inwieweit ist das Thema flexible Arbeitszeit, flexibler Arbeitsort wirklich schon gleichgesetzt mit dem Thema Produktivität und Leistungswillen?
Daher: Dieses Thema muss man mit den Beschäftigten gemeinsam angehen und bspw. in Mitarbeitergesprächen festlegen, woran Leistung bemessen wird, sodass ich als Beschäftige Transparenz darüber habe, was denn Produktivität und Erfolg für meine Führungskraft bedeutet.
Ausgehend von der Annahme, dass Menschen erfolgreich sein wollen – unabhängig davon, wie sie für sich Erfolg definieren – drängt sich die Frage auf, woher die Bedenken mancher Führungskräfte kommen, dass Mitarbeitende bspw. im Homeoffice nicht produktiv seien. Zumal die Zahlen eindeutig dafürgesprochen haben, dass sich eindeutig kein Rückgang, sondern teils sogar ein Anstieg der Produktivität zeigte. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wenn ich jeden Morgen meine Beschäftigen sehe und sehe, dass sie arbeiten, und sehe, was sie machen und wie lange sie da sind, und auf einmal habe ich sie gar nicht mehr vor Augen, dann kann das auch das Gefühl von Verlust und Kontrollmöglichkeit bedeuten.
Die Pandemieerfahrungen haben gezeigt, dass es funktioniert. Viele Unternehmen möchten und erwarten daher gar nicht mehr, dass alle Mitarbeitenden ins Büro kommen, sondern fördern das freie flexible Arbeiten.
„In meiner zweiten Masterarbeit habe ich erforscht, inwiefern flexibles Arbeiten auf das organisationale Commitment von den Beschäftigten wirkt. Und wenn sich die Führungskraft für orts- und zeitflexibles Arbeiten einsetzt, dann fördert das auch die Loyalität und das Commitment.“
Das bedeutet auch, dass wir uns gegenseitig die Möglichkeit einräumen sollten, diese positiven Erfahrungen zu machen, um vertrauen zu lernen, dass diese andere, neue Arbeitswelt funktioniert.
“Ja, unbedingt. Learning by doing. Und nicht jedes Unternehmen macht die gleichen Erfahrungen. Nicht für jedes Unternehmen ist 100% virtuelles Arbeiten geeignet. Es gibt ja genügend verschiedene Modelle; bspw. drei Tage Office, zwei Tage zu Hause oder andersrum – das eröffnet auch die Möglichkeit persönlicher Begegnungen. Und für mich gesprochen: mir hilft es, wenn ich eine Person auch wirklich erlebbar habe, um eine persönliche Bindung aufzubauen.“
Selbstführung
Die o.g. Modelle bedeuten folglich auch, dass mehr Selbstführung erforderlich ist.
„Selbstführung ist meiner Ansicht nach eine absolute Zukunftskompetenz. Dazu gehören auch Bereiche wie Selbstmanagement, Zeitmanagement, Selbstmotivation. Das beherrscht aber nicht jede und jeder und dann ist meine Aufgabe als Führungskraft, dies zu erkennen und zu fördern. Generell geht es darum, dass ich als Führungskraft eher den Rahmen gebe und da bin, wenn Rückfragen sind; Stabilität und eine Richtung gebe.“
Auch Mitarbeitende selbst sind eine Art Führungskraft – ihre eigene. Wenn ich bspw. für mich sage, dass ich meine Mittagspause auf zwei Stunden ausdehne, weil ich für mein körperliches Wohlbefinden eine Sporteinheit einlege und danach weiterarbeite, dann ist das genauso berechtigt, wie jemand, der strikte Regeln braucht. Hierbei gibt es keine allgemeingültige One-Size-Fits-All Lösung.
Zusammenfassend ist für Luise Ortloff wichtig:
„Das Thema Führung sollte nicht unterschätzt werden. Führung im Sinne von Selbstführung, aber auch Führung für andere und Orientierung zu geben – gerade in diesen sich schnell bewegenden Zeiten. Führung ist ein Anker, Stabilisator, ein Rahmengeber. D.h. wenn Führungsgrundsätze neu gedacht werden, weg vom hierarchischen Top down – Hin zu mehr Partizipation und Selbstbestimmtheit, ist es trotzdem und umso mehr ein wichtiger Faktor, der zum Unternehmenserfolg, aber auch zur Zufriedenheit und Engagement der und des Einzelnen beiträgt. Gerade deswegen gilt für mich: Führung nicht abschaffen, sondern Führung neu denken.“
Herzlichen Dank!